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Aus "Frankfurt am Main - Stadtentwicklung und Planungsgeschichte seit 1945" von Hans-Reiner Müller-Raemisch, Frankfurt 1996

DER STREIT UM DAS HOLZHAUSENVIERTEL 1962-1968

Denn jeder Versuch, langfristig in sehr großem Maßstab zu planen, bringt zwangsläufig für viele Leute, gelinde gesagt, beträchtliche Unannehmlichkeiten mit sich. Daher wird es stets eine Tendenz geben, dem Plan Widerstand zu leisten.
(Karl R. Popper 1960)

Anfang der sechziger Jahre fand im Holzhausenviertel der Versuch statt, ein relativ einfaches und einsehbares, aber auch dem bestehenden Villenviertel gegenüber ziemlich rücksichtsloses planerisches Gesamtkonzept durchzusetzen. Noch hatten die Planer ihre Modelle einer modernen aufgelockerten und mit Hochhäusern akzentuierten Bauweise im Kopf, die sie an den Satellitenstädten erprobt hatten und die sie nun auf die bebaute Stadt zu übertragen suchten.
Das nur in Skizzen festgelegte städtebauliche Gesamtkonzept folgte den Trassen des Generalverkehrsplanes und bemühte sich, für den wachsenden Flächenbedarf des Tertiärsektors Raum zu schaffen. In dem Generalverkehrsplan 1962 lag über dem Alleenring eine aufgeständerte Schnellstraße als zweiter Stadtring. Die vorgesehene U-Bahn-Führung ging vom Zentrum der Hauptwache strahlenförmig nach den Außenbezirken aus.
Aus dieser Verkehrsplanung ergaben sich zwei Forderungen an die Stadtplaner: einmal längs der U-Bahnstrecken eine verdichtete Bebauung anzusiedeln, um die U-Bahn in ihrer Auslastung zu stärken, zum anderen längs der vorgesehenen Stadtautobahnen eine möglichst gegen den Lärm des Verkehrs unempfindliche Nutzung anzusiedeln.
Das Konzept war, wie gesagt, einfach: ein 50-80 Meter breiter Streifen südlich des aufgeständerten Alleenrings, der mit Hochhäusern oder anderen Bürohäusern bebaut werden sollte, um den Lärm der Straße gegen die dann noch verbleibenden Wohngebiete abzufangen. An den Kreuzungspunkten der U-Bahnlinien mit dem Alleenring sollten möglichst eindrucksvolle Hochhäuser entstehen, um diese Knotenpunkte auch gestalterisch sichtbar werden zu lassen.
Die große Schwierigkeit war nur, daß eben jener neu zu schaffende Streifen künftigen Kerngebietes schon weitgehend bebaut war, und zwar in der Regel mit völlig intakter Wohnbausubstanz. Es galt also zunächst die Baulücken ausfindig zu machen, in denen möglichst, und zwar zunächst ohne Abriß von allzuviel vorhandener Substanz, sich Hochhäuser errichten ließen. Wären erst solche "Pfähle" eingeschlagen, glaubte man, würde die übrige Neubebauung schon nachziehen. Schließlich würde die Wohnqualität des Viertels durch die geplante Autobahn ohnehin zurückgehen, so daß die Bewohner des Viertels, die ja auch weitgehend Eigentümer waren, ohnehin lieber ihre Grundstücke an Bürohaus-Investoren verkaufen und wegziehen würden. Diese Rechnung, ohne die Betroffenen gemacht, sollte allerdings nicht aufgehen.

Die Kette der Hochhäuser am Alleenring

Das erste Glied in der Kette der geplanten Hochhäuser war das am Nibelungenplatz. Der Standort war durch die Kreuzung der Friedberger Landstraße als radiale Ausfallstraße mit dem Alleenring als Ringstraße hervorgehoben. Hier waren die Verhältnisse für ein Hochhaus noch einigermaßen günstig, die Nachbarbebauung nach Norden und Osten lag relativ weit von dem vorgesehenen Grundstück entfernt, und die übrige benachbarte Wohnbausubstanz war nicht allzu wertvoll. Dieses Projekt ließ sich auch noch ohne Bebauungsplan durchsetzen und fiel in die herrschende allgemeine Hochhauseuphorie, so daß in der Öffentlichkeit mehr Zustimmung als Bedenken laut wurden.

Schwieriger war schon das nächste Hochhaus in der Kette, an der Kreuzung Eckenheimer Landstraße mit dem Alleenring, dem heutigen Grundstück der neuen Deutschen Bibliothek. Damals war dieses Grundstück zwischen Cronstetten-, Schlosserstraße und Adickesallee zwar ohne wesentliche Bebauung, aber es grenzte unmittelbar an ein völlig intaktes ein- und zweigeschossiges Baugebiet, das, wie sich bald herausstellen sollte, noch durch ein besonderes Servitut aus dem Jahre 1910, den sogenannten Knoblauchfeldvertrag, geschützt war.
Für dieses Grundstück ließen schon 1961 die Stadtverordneten einen Aufstellungsbeschluß für einen Bebaungsplan mit einem zwanziggeschossigen Hochhaus "in Y-Form" passieren. Aber während der Plan noch ausgearbeitet und mit den anderen Ämtern abgestimmt wurde, formierte sich in der betroffenen Bürgerschaft der Widerstand. Eine "Schutzgemeinschaft Wohngebiet Holzhausen e.V." gründete sich, schaltete Anwälte ein und rief die Betroffenen zu Einsprüchen gegen den Ende 1964 offenliegenden Bebauungsplan auf. Es gelang ihr dabei auch, durch eine Flugblattaktion immerhin mehr als 1.000 Einsprechende zu mobilisieren. - Bürgerinitiativen im Holzhausengebiet haben Tradition. Schon fünfzig Jahre zuvor hatte hier der Protest von Bürgern eine völlige Überbauung des Parks um das Holzhausenschlößchen verhindert.
Im Mai 1965 kam der Bebauungsplan zum Beschluß vor die Stadtverordneten. Der Magistrat hatte empfohlen, die Einsprüche abzuweisen und den Plan zu beschließen, da "die Anwohner durch das ausgewiesene Kerngebiet nicht übermäßig belastet würden, das Gelände nie reinen Wohnzwecken gedient hätte und ein städtebaulich markantes Grundstück sei" (Neue Presse, 23.4.1965). Der Plan zeigte nicht ausdrücklich die mögliche und sicher auch beabsichtigte zwanziggeschossige Hochhausbebauung, sondern wies das fragliche Gelände nur mit einer Geschoßflächenzahl von 2,5 aus, die gleichwohl die Baumasse für 20 Geschosse ermöglicht hätte.
Die Diskussion im Aufbauausschuß und in der Stadtverordnetenversammlung war lang und heftig. Besonderen Unwillen unter den überwiegend kaufmännisch denkenden Mitgliedern der Schutzgemeinschaft erregte die Tatsache, daß das Baugrundstück von dem potentiellen Investor zum Teil noch zu den Stopppreisen einer alten Gesetzgebung zusammengekauft worden war und nun durch die neue Ausweisung eine bedeutende Wertsteigerung erfuhr. Im übrigen blieb die Furcht vor weiterer Lärmbelästigung, Verschattung und sonstiger Beeinträchtigung des ruhigen Wohnviertels durch das neue Geschäftszentrum für die Anwohner bestimmend. Das wurde auch in einer vom Aufbauausschuß durchgeführten Anhörung der "Petenten" klar.
Trotzdem stimmten nur ein kleiner Teil der CDU-Fraktion und die FDP gegen den Plan. Die Mehrheit der Stadtverordneten und besonders die Mehrheitsfraktion der SPD hatten sich durchaus von der Richtigkeit des Konzeptes überzeugen lassen und fanden sich bereit, zum Wohl der Stadt das Opfer einer gewissen Verschlechterung der Wohnqualität von den Betroffenen zu verlangen.
Der Beschluß für die Hochhausbebauung eines einzelnen Grundstücks scheint selbst im Rückblick noch einigermaßen verständlich. Was uns heute viel mehr verwundert, war die relative Gleichgültigkeit der Entscheidungsträger gegen das weitere Schicksal dieses Wohnquartiers, das ja bei der Verfolgung des offen angesprochenen und auch in Zeitungen veröffentlichten Konzeptes der Stadtplanung mindestens in dem besagten Streifen den geplanten Bürohochhäusern zum Opfer fallen mußte. Aber die Überzeugung, daß die Bewohner für einen entsprechend hohen Grundstückspreis ihre Häuser schon verkaufen würden, war anscheinend unumstößlich.
Der beschlossene Bebauungsplan wurde im November 1965 vom Hessischen Innenminister mit einigen Empfehlungen genehmigt. Zum Schutz der vorhandenen Wohnbebauung schlug der Minister einen nur fünfzig Meter breiten Schutzstreifen als Wohngebiet zwischen Hochhaus und den bestehenden Grundstücken vor. An der für die zweigeschossige Umgebung gewaltigen Baumasse änderte er nichts.
Das war für die Schutzgemeinschaft der Casus belli. Sie reichte Normenkontrollklage gegen den Plan beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof ein. Und damit verschwand die Entwicklung eigentlich aus dem Bereich des Planerischen und wurde dort weiterverhandelt, wo in der nahen Zukunft so viele Planungen weiter vorangetrieben oder verhindert wurden: bei den Gerichten. Die Gestaltung der Baumassen entstand bei diesem Verfahren dann oft in Einzelaushandlungen zwischen Investoren mit den Besitzern der Nachbargrundstücke, die ihre Rechte so teuer wie möglich verkauften. Dabei konnte die Stadtplanung kaum noch mehr als marginalen Einfluß auf die Gestaltung nehmen.

Weitere Hochhäuser wachsen ohne Bebauungsplan

Da die Schwierigkeiten beim offiziellen Planverfahren sich als zu hinderlich herausstellten, hatte das Planungsdezernat andere Methoden gefunden, um den Plan der Hochhauskette und Büronutzung doch noch durchzusetzen. Schon Anfang 1965 "wuchs" ein genehmigtes Bürohaus in der Falkensteiner Straße/Ecke Alleenring von zunächst vier auf schließlich zwölf Geschosse. Es waren zunächst entsprechend der Umgebung vier Bürogeschosse genehmigt, der Bau sollte dann um weitere sechs Wohngeschosse aufgestockt werden, wahrscheinlich um die angestrebte Mischung von Büros mit Wohnen herzustellen. Als der Bau fertig war, zählte man zwölf Geschosse, aber er war angeblich nur im ganzen als Büro zu nutzen. - Wer bei diesem Verfahren eigentlich wen ausgetrickst hatte, wird wohl nicht mehr festzustellen sein. Die Bevölkerung empfand diese Vorgänge jedenfalls als behördliche Willkür.
Anfang 1966 wurde ein ebenfalls im Verdichtungsstreifen an der Adickesallee gelegenes Bürohochhaus mit Zufahrt von der Voelckerstraße begonnen. Hier drohte aber, da die Rechtslage nicht ganz sicher war, die Schutzgemeinschaft mit einer Baustillegung und erreichte einen Kompromiß, der die Zufahrt aus der VoeIckerstraße herausnahm und die Bauhöhe beschränkte.
An der Kreuzung Eschersheimer Landstraße/Adickesallee gelang dann wieder über einen Bebaungsplan das im Konzept vorgesehene Hochhaus mit 15 Geschossen.
Doch zurück von der westlichen zu der damals noch im Normenkontrollverfahren befindlichen nordöstlichen Kante des Baugebietes Holzhausen. Hier mußte im April 1967 der Investor an der Eckenheimer Landstraße/Adickesallee, eine "Bauhand-AG", aufgeben, weil offenbar die Kosten für die Kapitalvorhaltung ihm über den Kopf gewachsen waren. Es kam zur Zwangsversteigerung, und bei dieser Gelegenheit wurde die ganze höchst riskante Finanzgrundlage dieser Gesellschaft sichtbar, die mit gerade 100.000 DM Stammkapital das inzwischen millionenschwere Grundstück erworben und gehalten hatte. Bei der Zwangsversteigerung ging das Grundstück, für das, wie eine Frankfurter Zeitung erfahren hatte, einmal netto 6 Millionen DM bezahlt worden waren, nun für 14 Millionen DM an einen neuen, diesmal norddeutschen Investor.

Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes

lm März 1968 erfolgte endlich das lange erwartete Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes über die Normenkontrollklage gegen den Bebauungsplan NW 21 b Nr. 1, gegen den die Holzhausenschutzgemeinschaft ihre 1048 Unterschriften gesammelt hatte. Aber wer sich eine Klärung in den ja wirklich gravierenden Sachfragen, etwa über die Macht der Planungshoheit und die Zumutbarkeit von Planungen für den Bürger, erhofft hatte, sah sich enttäuscht. Das Gericht erklärte wegen zweier, an sich lächerlicher Formmängel bei der Auslage und der Bekanntmachung des Bebauungsplanes diesen für ungültig und entschied in der Sache nichts.
Nun endlich begann die Stadt mit der Schutzgemeinschaft zu verhandeln und erreichte im März 1970 einen Kompromiß über mögliche, auch von der Schutzgemeinschaft nicht mehr als unannehmbar gesehene Bauformen. Es war eine Baugruppe, die von einem immer noch hohen Zentrum des Baukörpers aus zur vorhandenen Wohnbebauung stark abfiel und dort auf vier bis sieben Geschosse auslief. Ein entsprechender neuer Bebauungsplan war schon zur öffentlichen Auslegung von den Stadtverordneten freigegeben, als im Juni 1970 auch das neue Investorengremium das Grundstück zum Verkauf stellte: Der Diskontsatz war binnen kurzer Zeit zweimal gestiegen; das hatte die Investitionsmöglichkeiten stärker gedämpft, als eine noch so rigorose Stadtplanung dies hätte erreichen können.
Das Grundstück hat dann noch eine lange und wechselvolle Investoren- und Projektkarriere (1972) erlebt, bis es schließlich Anfang der achtziger Jahre bei der Bundesvermögensverwaltung landete und für den Neubau der Deutschen Bibliothek vorgesehen wurde. Aber das ist schon eine Geschichte, die in eine andere Planungsepoche hineinreicht.

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