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Artikel aus der Frankfurter Rundschau vom 05.11.2004

Mehr Sein als Schein

Alles gibt's gleich ums Eck: Im Oeder Weg lebt das Nordend und entdeckt mancher die schönste Straße Deutschlands
Von CLAUDIA MICHELS

NORDEND - 4. November - Der Oeder Weg ist eine Welt für sich - das Dorf vor dem Stadttor am Eschenheimer Turm. Kaum ist die schreckliche Kreuzung stadtauswärts überschritten, wechseln Gangart, Tempo, Ton. Nichts mehr mit dem distanzierten "Guten Tag, was kann ich für Sie tun?" - eher ist ein "Des müsse Se aach mal probiern, morje isses schlecht" zu erwarten. Aufgeschnappt dieser Tage bei Wild-Schmidt, einem der typischen Inhabergeführten Läden, die den Charakter der Straße prägen.
Der Oeder Weg könnte sich von der Lage her auch als Zentrum der Finanzmetropole aufblasen, aber er hat sich für das Nordend als Heimat entschieden. Das liebenswürdig-biedere Bild der Geschäftsstraße hat eine Rückseite: Kompetenz, die Gepränge und Gedröhne nicht braucht. Die Gelassenheit ist sofort daran zu erkennen, dass die eingesessenen Lädchen mittags zu haben. Da hält der Oeder Weg Mittagsruhe.
Schlicht, aber nicht schlecht situiert. Mancher blickt mit einem Lächeln auf das Geschäft Annas Pelzmoden gleich am Eingang in die Straße (Hausnummer 12), über das seit 50 Jahren die Zeit hinweggegangen zu sein scheint. Aber fast jeder erinnert sich auch an die verstorbene Inhaberin Anna Graßl, die mit ihrem Engagement für die Gemeinschaft so etwas wie die gute Seele des Oeder Wegs gewesen sein muss.
An vielen der Läden hängen Geschichten. Wie die des stattlichen Türken in der "Polster-Werkstätte" (Hausnummer 30), der so selbstverständlich in die 10 Jahre alte deutsche Tradition am Platz eingestiegen ist. "Es läuft schön" sagt Polsterermeister Taner Günaydin, den Meisterbrief und die Ehrenurkunde des Vorgängers Heinrich Winter an der Wand gerahmt hinter sich. Es läuft: Hinter den "Restposten" im Schaufenster und dem Schild "Alle Arbeiten zahlbar in Bar" neben der Tür werden "alle Polsterarbeiten fürs Städel" erledigt.
Mehr sein als scheinen, das trifft für einige zu im Oeder Weg. Auch das Blumenhaus Italia, seit 40 Jahren in der Straße, ist so ein Beispiel - kein Sonderwunsch, der nicht erfüllt würde und seien es 500 Sonnenblumen zum Kinderfest oben im Holzhausenschlößchen. Auch der Goldschmied Marc Hilgenfeld in der Nummer 23 ist zu nennen, dessen Marktlücke, angeschrieben am Schaufenster, lautet: "Schmuck und Gerät". Ihm eilt deshalb der Ruf voraus: "Der repariert alles." Um welche Geräte es geht, handelt der Inhaber sogleich in einem Vortrag über "profane und liturgische Gerätschaften" ab. Hilgenfeld in seinem großen, lichten Laden ist einer der Hundertfünfzigprozentigen: "Das ist hier doch die schönste Straße Deutschlands."
"Alle wohnen hier" - anders kann sich Gerti Hollederer eine Frankfurter Existenz nicht denken -"und alles gibt's ums Eck". Gerti, die mit dem Fahrrad vorbei kommt und zur Post will, überlegt, was sie beim Einkauf um ihre vier Ecken vermisst: "Nähnadeln? Einen Schuster?" Die Frage bleibt offen, denn Gerti merkt: Sie vermisst nichts. Sie hat vielmehr noch einen Grund zu schwärmen: von dem neuen englischen Lädchen, Ecke Jahnstraße: "Tee, Marmelade, sausage - ganz reizend, gleich next door."

Straße der Individualisten

Es ist eine Straße der Individualisten, meint Inhaber Einspieler im Einrichtungshaus Arbitare. Schöner muss der Oeder Weg mit seinen Barrikaden beklebter Container, verrosteten Absperrgittern, abgefahrenen Straßenmarkierungen, Siffecken, in seinen Augen nicht werden: "Die hier wohnen, akzeptieren ihn so, wie er ist." Bei denen, denen die Häuser gehören, ist des eher anders. "Der Oeder Weg ist zu teuer" hört man in Cillis Lädchen (Ecke Querstraße). Damit ist die Miete gemeint: Der Laden für Wollsachen und Schuhe macht bald dicht.
Anmerkung: "Cillis Lädchen - Natur von Kopf bis Fuß" hat nicht dicht gemacht, sondern ist in die Arnsburger Straße 58 in Frankfurt-Bornheim umgezogen.
Andere, wie Traudel im Naturkostladen, haben den Schritt schon angedroht. "Ich hab' dem gesagt, ich mach' zu." Ergebnis: 300 Euro im Monat für die 96 Quadratmeter weniger, wenn sie nur bleibt. Dass die Freizeitausrüster von Sine, angeblich um 5000 Euro Mietkosten einzusparen, weggezogen sind, dass da von der Ecke Bornwiesenweg weiter die leeren Fensterhöhlen rüber glotzen, wird als Tiefschlag empfunden.
Steht noch was leer? Kommt eigentlich nicht vor. Unten an der Nummer 9, wo die Bar Intermezzo geräumt hat, macht am Montag lnga Albrecht ihren S-Raum auf. S wie Suppe, Salat, Saft, Süßes, Sandwich. Da, sagt sie, "sind die Vermieter ganz süß".

DER OEDER WEG

Der Name Oeder Weg kommt von der Holzhausen-Oede, dem Schlösschen im Holzhausenpark, das früher ganz draußen in der Einöde lag. Die meisten Läden in der Straße gehören laut Erhebung der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung in die Nahrungs- und Genussmittelbranche.
Im Oeder Weg kaufen nach dieser Studie zu 45 Prozent Auswärtige ein. Als Anziehungspunkte werden der Metropolis-Filmpalast an der Ecke zur Eschersheimer Landstraße und der HL-Supermarkt genannt. Die Geschäftszone der Straße, die ins Holzhausenviertel führt, ist kaum 400 Meter lang, die Läden sind durchschnittlich nur 74 Quadratmeter groß. Die Studie bemängelt die"städtebäulichen und verkehrlichen Rahmenbedingungen".

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