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Artikel aus der Frankfurter Rundschau vom 30.05.2005

Seit 25 Jahren fahren die Bornheimer unterirdisch

Das Teilstück Konstablerwache - Seckbacher Landstraße der U4 feiert Geburtstag / Einzelhandel lief gegen das Projekt Sturm / Neues Verfahren nach österreichischem Vorbild
Von ANITA STRECKER

Sie ist die "B-Strecke" im alten StadtbahnKonzept. Die Linien U 1, U2 und U 3 waren zwölf Jahre vor ihr da. Aber sie ist die erste, die ausschließlich im Untergrund verkehrt. Morgen auf den Tag genau seit 25 Jahren: Die U4, Teilstück Seckbacher Landstraße bis Konstablerwache, feiert Geburtstag.

FRANKFURT - 29. MAI - Merianplatz, Ausstieg rechts: Die beiden Jugendlichen, Knopf im Ohr, Walkman am Hosenbund, achten nicht auf die Frauenstimme aus dem Lautsprecher. Wie im Schlaf drücken sie den Türöffner, hasten vorbei an den grünen Wandfliesen, den grünen Schalensitzen und abgerissenen Plakatwänden. Rolltreppe hoch, dem Ziel entgegen. Alltagstrott. Immergleicher Weg. Die U4 ist das Vehikel. Nicht wegzudenken. Vertraut: Blaue Fliesenwände an der Endstation bedeutet Seckbacher Landstraße. Kacheln in Gelbgrün, Orange und Braun - Bornheim Mitte; Wände in Orange, Gelb und Rot - Höhenstraße; in Grün - Merianplatz; grauer Waschbeton: Wir sind an der Konstablerwache.
Sie ist schmucklos. Nix Besonderes. 80er Jahre-Stil eben. Aber schnell, sagen Fahrgäste, ehe sie den roten Sitzen zustreben. "Übersichtliche Zweckbauten statt Kathedralen", sagten Planer des beauftragten Architekturbüros Bartsch und Partner, als sie ihre U-Bahn, Teilstück Bornheim bis Konstabler, am 31. Mai 1980 eröffneten. Die "erste wirkliche und reine U-Bahn", wie sie der damalige Oberbürgermeister Walter Möller (SPD) anno 1970 versprochen hatte.
250000 Besucher nehmen die U4 mit Riesenvolksfest bei Sonnenschein und freier Fahrt für alle in Empfang. Dabei war die U4 lange Zeit alles andere als bejubelt worden. Einzelhändler der "Berger" liefen Sturm gegen das Projekt, das ihre beschauliche Einkaufsstraße in einen aufgerissenen, waidwunden Canyon verwandeln, das Kunden vergraulen und nach Bauende schließlich im Zehn-Minuten-Takt zum Einkaufen in die City befördern würde.
"Der U-Bahn-Bau ist fast für alle Geschäfte mit irgendwelchen Nachteilen verbunden", hatte die Industrie- und Handelskammer gewarnt. Seckbacher und Nordendbewohner schimpften, weil der U4 Bus- und Straßenbahnhaltestellen geopfert werden sollten. Was den damaligen SPD-Fraktionsgeschäftsführer Hans Michel so in Rage brachte, dass er im offenen Streit mit seinen Genossen den Bettel hinschmeißen wollte. Half aber alles nix. Die U4 kam.
Erste Planungen hatten bereits 1961 begonnen, am 28. Juni 1966 folgte im Beisein des damaligen Ministerpräsidenten Georg August Zinn (SPD) der feierliche Baubeginn: Ein 34 Meter langer Stahlträger wurde in einem Bohrloch an der Vilbeler Straße versenkt. Das war's fürs Erste. Die Stadt konnte das etwa 700 Millionen Mark schwere Projekt nicht alleine finanzieren, erst als Bund und Land bereit waren, bis zu 90 Prozent der Kosten zu bezuschussen, gaben die Stadtverordneten im März 1967 endgültig grünes Licht für den Sechs-Etappen-Bau.
Die Bohrungen für den 3,72 Kilometer langen Bornheimer Tunnel begannen im Juni 1971 am ersten Schacht Berger/Ecke Heide- und Rendeler Straße. An anderen Abschnitten, am Hessendenkmal, in der Battonstraße oder auch am damaligen Theaterplatz wurde zu dem Zeitpunkt schon heftig gebohrt. Teils unter großen Schwierigkeiten: Unerwartet harte Kalksteinbänke in der Innenstadt und heftige Grundwassereinbrüche ließen den Vorstoß teilweise von fünf Metern pro Tag auf weniger als einen Meter schrumpfen. Trotz der 24 Pressen, die das Bohrschild unerbittlich vorantrieben, während sich überdimensionale Hämmer ins Gestein fraßen und Sprengladungen ihre Wunden rissen.
Ein gewagtes Unterfangen. Besonders unterm Römerberg oder am Theaterplatz mit seinem vierfach überkreuzten Röhrensystem. Die Frankfurter hatten dazu eine neuartige Tunnelbauweise aus Österreich übernommen, bei der zeitgleich mit dem Vorstoß tragende Stahlbögen und Betonverschalungen eingebaut wurden. Die unterirdische Bohr-Technik setzten Anwohner und Geschäftsleute auch für die "Berger" durch. Die geplante "Operation am offenen Corpus" blieb auf die Stationen reduziert. Für die Bornheimer dennoch Belastung genug: Via Holzbohlen mussten sie in die Geschäfte balancieren, das Uhrtürmchen Bornheim Mitte wurde abmontiert, und die Inhaber der längst vergessenen "Hosen-Etage", von "Blumen-Feldmann" oder Inge Dermentzoglu vom "Reformhaus Stroh" klagten über Umsatzeinbußen: "Über 60 Prozent Rückgang allein zwischen '75 bis '77", wetterte Dermentzoglu, die sich ein neues Geschäft ohne U-Bahn in der Nähe suchte.

Tunnel im Doppelstock

Die U-Bahnbauer quälte derweil ein ganz anderes Problem: Mit ihren zarten 17 Metern Breite war die Berger entschieden zu schmal, um zwei Schienenröhren nebeneinander zu legen. Notgedrungen musste es hochkant gehen, der Doppelstock-Tunnel wurde erfunden. Ein weiteres Novum, das die Frankfurter vorsichtshalber zu einem alten Bergmanns-Codex zurückgreifen ließ: Kein Tunnelbau ohne Tunnelpatin. Weibliche Stadtverordnete oder Ehefrauen von Parlamentsmitgliedern mussten herhalten, den Bohrbeginn "anschlagen" und den Tunnel in spe auf den eigenen Namen taufen. So kommt es, dass die Bornheimer U 4-Röhren Gisela und Christa heißen - nach Gisela Crötsch und Christa Merta.
Hat dann auch tatsächlich alles geklappt mit dem Bau. Die Wunden sind längst verheilt, das Uhrtürmchen steht, wo's immer stand, und die Geschäftsleute klagen zumindest nicht mehr über die U-Bahn. Denn die schnelle Verbindung in die City funktioniert in beide Richtungen, spült Gäste zu den Apfelweinlokalen der oberen Berger, zu den Kneipen und Läden der unteren oder zu Saturn an der Höhenstraße.

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