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Aus: Frankfurter Rundschau vom 16.06.2007

Ruhe in der zweiten Reihe

von Anita Strecker

Wie man Frankfurt lieben lernt In den Hinterhöfen tickt die Zeit langsamer

Frankfurt in zweiter Reihe. Versteckt hinter Hausfassaden, Geschäften, zugeparkten Straßenrändern gibt sich Frankfurt privat. Vorne Hemd und Hose, hinten Shirt und Shorts. Vorn dröhnen Autos, hinten zwitschern Vögel. Vorne geschäftig, hinten entspannt. Leben im Hinterhof. Große Freiheit im kleinen Karree.

Privatheit im Freien. Die Großstadt bleibt draußen - vorm Vordereingang.

Sie hat die grüne Oase inmitten der Rückfassaden der Gründerzeithäuser in der Sternstraße jedenfalls immer als Freiheit empfunden, sagt Vera-Lynn Becker. Den Rasen mit Springbrunnen in der Mitte, in den Beeten drum herum wuchern Blumen, Erdbeeren, Himbeeren und Brombeeren. Ein Gartenreich mitten im eng bebauten Nordend. Als Kind ist die 21-Jährige durch ihre grüne Insel getobt, sagt sie, hatte ihr eigenes Planschbecken, hat alle Geburtstage im Garten gefeiert. Heute wird dort mit Freunden gegrillt, gefeiert, in der Sonne gefaulenzt, der Oma beim Gärtnern geholfen. „Man kann machen, was man will." Privatheit im Freien. Unbeobachtet. Die Stadt bleibt draußen - vorm Vordereingang.
Im Nordend verbergen sich zahllose dieser Oasen. Handtuchschmale Wiesen mit Blumen, Bäumen, versteckt zwischen Adlerflycht- und Stalburgstraße, zwischen Sömmering und Fichard. Ein enger Hausdurchgang führt auf die grüne Hinterseite, Fahrräder an der Gartenmauer, ein großer Sandkasten, umlagertvon verschmierten Schaufeln und Eimerchen, ein rostiger Grill und Gartenstühle. Platz, um ungestört den Bauch in die Sonne zu strecken oder mit der Nachbarin von obendrüber Kaffee zu trinken. Das hektische Frankfurt kommt auf seiner Rückseite zur Ruhe. Platz zum Luft holen, Fahrrad putzen, am Roller schrauben, Wäsche aufhängen, Kicken oder Indianer spielen. Nicht nur im Nordend.
Dicht bebaute Häuserkarrees mit Innenhöfen, Gärten gehören auch in Bornheim, Bockenheim und Sachsenhausen zur Anatomie der Stadt. Vorne Laden oder Kneipe, hinten Werkstatt, Apfelweinpresse, Stall, Backstube: So war es mal. Die Arbeitsteilung ist weitgehend verschwunden, der Platz allerdings geblieben. Auch wenn das einstige rot-grüne HinterhofBegrünungsprogramm lange begraben ist, Hauseigentümer die Freiräume im Nordend und Westend mehr und mehr als Parkplätze zupflastern, Kneipen Hinterhöfe zum Allgemeingut erklären, hat sich Frankfurt seine privaten Rückzugsräume in weiten Teilen doch bewahrt.

Menschen sitzen, reden und haben alle Zeit der Welt. Im Hof obsiegt die Langsamkeit.

In Bockenheim sind sogar die alten Werkstätten in zweiter Reihe geblieben. Bei der Kaffeerösterei Wissmüller, Leipziger Straße 39, rotieren die riesigen Kaffeemühlen wie vor 60 Jahren im Hof. Einsehbar vom kleinen Verkaufsladen mit dem abgetretenen Terrazzoboden und vollgestopft mit Blechdosen in alten Holzregalen und Kommoden. „Im Hinterhof lebt man wie auf dem Dorf ; schreiben Frank Weinert und Axel Huth in ihrem Buch „Wo Frankfurt Hof hält" (CoCon-Verlag).
In jedem Fall scheinen die Uhren in zweiter Reihe langsamer zu ticken. Nur vier Höfe von Wissmüller entfernt, Leipziger 35, trinken zwei Frauen mit Babys auf dem Schoß Kaffee - zwischen der Brautkleider-Schneiderei Kraemer/Routisseau und einem Papierladen. Sie schauen auf Blauregen, der üppig blühend an den Hinterhofbalkonen bis zum Hausdach wuchert, auf blauen Salbei, weißen Oleander, rote Geranien, die dicht an dicht im Hof stehen. Wenige Meter weiter dampfen Knoblauchgerüche aus einer BacksteinKüche vom Hof auf die Leipziger: türkische Küche neben Fotostudio und Friseur. Menschen sitzen, reden, haben alle Zeit der Welt. Die Langsamkeit obsiegt, je mehr sich die Leipziger dem Kirchplatz nähert. In den Seitenstraßen werden Hinterhöfe privat.
Unerlaubte Blicke über schützende Mauern bieten sich erst auf der Freitreppe des Titania-Bürgertreffs in der Basaltstraße, wo Rosa Luxemburg 1913 die Frankfurter zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit angestachelt haben soll. In den Hinterhöfen nebenan blüht weißer Oleander, Räderlagern unter einem Holzverschlag, Gartenstühle stehen dicht an dicht auf wenigen Quadratmetern Rasen. Wenige Hausecken weiter, Ecke Friesen- und Appelsgasse bleibt der Blick in den Privathof frei. Das alte Lagerhaus des bahnamtlichen Rollfuhrgeschäfts posiertwie einst an der Stirnseite des Hofes. „Lagerung von Gütern aller Art" steht in großen Lettern am Giebel des Baus, dessen Nachbarn längst Mietshäuser sind. Die Annonce trifft ins Schwarze: Zwischen üppigbepflanzten Blumenkübeln steht ein altes Auto, liegen Werkzeuge und ein verschossener Fußball. Frankfurt in zweiter Reihe - hier wird gelebt.

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